# Schwerelos / Daniel Hüsing, Religionslehrer

Liebe Schülerinnen und Schüler, verehrte Eltern und Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen!

 

Im April 1961 flog Juri Gagarin als erster Mensch ins Weltall. 108 Minuten verbrachte er dort oben. Bei seiner Landung soll er gesagt haben. „Ich bin in den Weltraum geflogen – Gott habe ich dort nicht gesehen.“ Ich weiß nicht, was er dort oben gesehen hat, aber dass er Gott nicht gesehen hat, glaube ich ihm. Vielleicht hätte er lieber auf seine Instrumente schauen sollen. Also nicht, dass diese Instrumente irgendwie Gott hätten messen oder detektieren können. Aber bestimmt gab es zahlreiche Anzeigen wie Höhenmesser, Geschwindigkeitsmesser, Sauerstoffanzeige und dergleichen mehr.

 

Abgebrüht muss er auch gewesen sein, denn angeblich soll er keinerlei Angst vor seinem Flug gehabt haben. Aber vielleicht kam ihm während des Fluges doch einmal die Idee eines Zweifels? Was wäre, wenn Mechaniker die Sauerstofftanks falsch konstruiert oder befüllt hätte. Was, wenn sich einer der Mathematiker bei der Berechnung der Flugbahnen verrechnet haben sollte? Was, wenn die Mediziner die Strahlung falsch eingeschätzt hätten Dann käme er vielleicht nicht zur Erde zurück. Ende Gelände, Knall im All.

 

Also so’n Blick auf die Instrumententafel kann da schon Sicherheit geben, solange alles in Ordnung ist.

Aber was soll Gott in der Geschichte. Wird seine Existenz nicht widerlegt? Ist nicht die technologische Entwicklung und die zunehmende Selbstermächtigung der Menschen der vermeintliche Tod Gottes? 

Erst ruht Gott am Ende der Weltscheibe und als die Welt umrundet und vermessen wird, gibt es plötzlich keinen Rand mehr an dem ein Gott warten könnte. Dann stellt sich auch noch heraus, dass er im Himmel auch nicht ist. Vielleicht sollten wir einfach aufhören ein Wesen zu suchen, dass plötzlich leibhaftig vor uns steht?

Und was hat das nun mit der Instrumententafel zu tun? Ich gehe noch mal ein paar Sätze zurück.

Irgendwo gibt’s doch immer diesen Zweifel. Was ist, wenn die Instrumente nicht richtig funktionieren. Vielleicht hatten Sie das in der Nacht vor der Abschlussprüfung? Was ist, wenn der Handy-Wecker nicht funktioniert. Lieber noch mal nachgucken. Und um ein Uhr nachts sind sie aufgewacht und haben nochmal kontrolliert. „So’n Mist. Ich bin ja wie gerädert, wie soll ich da die Prüfung durchstehen.“ Zum Glück ist Mama oder der Freund oder wer auch immer zur Stelle. Irgendjemand denkt für mich mit.

 

Das war bei Apollo 13 auch schon so: 

Houston wir haben ein Problem.  - Ruhig Jungs, Mama NASA ist bei Euch!

 

Euch sind zwei Triebwerke explodiert? - Macht nichts, wir haben‘s durchgerechnet.

Der Sprit reicht noch so gerade bis nach Hause.

 

Die Sauerstoffversorgung wird knapp?  - Wartets mal ab, wir basteln eine Notversorgung.

 

Temperaturen am Gefrierpunkt in der Kapsel? - Jungs jetzt heult mal nicht rum! Das schaffen wir auch noch.

 

Wie gut, wenn ich weiß, dass da noch jemand ist. Dann kann man wenigstens die letzten paar Stunden vor der Prüfung noch beruhigt schlafen. 

Zweifel und Vertrauen sind Geschwister. Die gehören zusammen. Einer ist nichts ohne das andere. Ohne Zweifel bekäme ich niemals das Gefühl eines Vertrauens und ohne Vertrauen bliebe nur noch Zweifel. Was für ein ruinöses Dasein das wäre. Oder wie Meister Yoda es sagen würde; „Die Furcht vor Verlust ein Pfad zur Dunklen Seite ist.“ (George Lucas: Star Wars III).

 

Hinter jeder der Anzeigen denen Gagarin und die weiteren Raumfahrer vertrauten und vertrauen, stecken Unmengen von Technikern, Medizinern, Psychologen, Schlossern, selbst Laufburschen und Kaffeeautomatenaufsteller. Der Kommunikationsoffizier im Spacecenter brüllt: „Ich sitz hier schon 24 Stunden vor dem Bildschirm. Kann mir mal bitte jemand ‘nen dreifachen Espresso bringen???“ 

Viele tragen dazu bei, dass bei so einer Mission alle arbeitsfähig sind. Und ohne Vertrauen läuft da eben nichts…

 

„Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise, das mit seiner 400 Mann starken Besatzung 5 Jahre unterwegs ist, um fremde Galaxien zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“ (Gene Roddenberry: Star Trek)

 

Der Mensch strebt immer nach dem Erfolg. Nach einer Expansion, nach Ruhm und Ehre, besserem Gehalt, Ansehen und nach dem neuesten Handymodell. Doch vielleicht liegen die neuen Galaxien gar nicht irgendwo da draußen? Vielleicht liegen die Galaxien hier drinnen, im Kopf, oder im Herzen. Religiöse Menschen haben diese Überzeugung: In der Seele tun sich Welten auf, Hier finden wir Vertrauen. Hier finden wir Gott. Doch wir müssen es wahrnehmen.

Ignatius von Loyola war ein Mystiker und Kirchengelehrter und lebte von 1491 bis 1556. Mit Raumfahrt hatte der sicher noch weniger zu tun, als Gagarin mit Gott. Von ihm kommt der Satz: „Denn nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen her.“ Wir sollen also unsere Erfolge und Erfahrungen von innen her verkosten? Puuh! Das ist schon ein bisschen schräg. Probieren Wir’s!

 

Äußerlich betrachtet haben Sie einen Schulabschluss erworben. Innerlich betrachtet, haben sie gehofft und gezweifelt. Ihre Familie und hoffentlich auch die Lehrer haben Ihnen zugearbeitet. Und Sie haben Ihrer Familie vertraut, dass Sie Ihnen den Rücken freihält und den Lehrern, dass der Unterricht inhaltlich richtig und ihrem Weiterkommen förderlich ist. Dann erscheint Ihr eigener Erfolg plötzlich als Werk des Vertrauens in andere Menschen und als Gewissheit, dass auch andere Menschen Ihnen vertrauen. Lassen Sie sich dieses Vertrauen auf ihrer Seele zergehen. Vertrauen Sie und es werden sich neue Galaxien auftuen, fremde Welten. Sie werden Mondlandungen erfahren und eventuell auch Gott.

 

Auf diese Weise werden wir vielleicht auch äußerlich expandieren, bestimmt aber innerlich wachsen. Ein geschultes, gestärktes gesundes Vertrauen oder auch Gottvertrauen wird Sie auch stärken für die Momente, in denen eine Mission mal droht schiefzugehen. Ihr Netzwerk von Vertrauten wird Sie auffangen.

 

In diesem Sinne wünsche Ich Ihnen in Ihrem Leben noch viele erfolgreiche Mondlandungen: In Ihrem Privatleben mit ihrer Crew aus Familien und Freunden, im Studium mit Ihrer Crew aus Mitstudierenden, in ihrem Berufsleben mit Ihrer Crew aus Kolleginnen und Kollegen. Ich wünsche Ihnen ein gesundes Gottvertrauen und dass Sie Vertrauen genießen können. Und noch eins zum Schluss: Genuss gelingt am besten in fröhlicher Atmosphäre. Feiern Sie im Anschluss an diese Veranstaltung noch ausgiebig: Liegen Sie sich noch einmal mit Ihren Mitschülerinnen und Mitschülern in den Armen, prosten Sie sich zu und klopfen Sie sich auf die Schultern: Tschacka! „You really made the grade!” („Space Oddity“ von David Bowie). Auch das Feiern schafft Vertrautheit und ist Genuss für die Seele.

 

Daniel Hüsing, Religionslehrer